Ein großes Netzwerk, auf das ich zurückgreifen kann

1024 681 Biodynamische Bildung
Claudia und Felix Gräßer haben bis 2020 die Biodynamische Ausbildung in Ostdeutschland absolviert und Anfang 2022 Teile der „Gärtnerei am Bauerngut“ bei Frankfurt-Oder übernommen. Als Gärtnerei Kraut & Krume bewirtschaften sie 8 ha Gemüsebaufläche, haben acht Angestellte und bilden selbst Lehrlinge aus. Im Interview blicken Sie auf ihre Ausbildungszeit zurück und berichten über ihren Weg, Verantwortung zu übernehmen.

 

JAKOB GANTEN: Liebe Claudia, lieber Felix, Ihr habt einen der letzten Durchgänge der noch vierjährigen Ausbildung absolviert. Was war für Euch das Wesentliche an der Ausbildungszeit?

CLAUDIA GRÄSSER: Am wichtigsten war für mich, viele verschiedene Betriebe kennenzulernen. Es hängt ja stark von den Betriebsleiter:innen ab, wie die Dinge gemacht werden und auf verschiedenen Betrieben lernt man auch verschiedene Arten der Betriebsführung kennen. Auch die Art des Lernens, des genauen Hinguckens, sogar mit künstlerischen Methoden, war wichtig für mich. Das hat mir mehr Zugänge eröffnet, als es nur mit Texten möglich gewesen wäre.

FELIX GRÄSSER: Der Zugang zu vielen Höfen war wirklich das entscheidende. Was da an Vielfalt der Hofkonzepte und Methoden zu erleben war, geht weit über allgemeines Fachwissen hinaus. Charmant war auch, dass wir dabei ganz unterschiedliche Böden kennengelernt haben ­ Daraus ergeben sich ja ganz unterschiedliche Bewirtschaftungsmethoden. Unterm Strich war die Ausbildung ein Gesamterlebnis. Ich bin nicht so ein Prüfungsmensch, klassische Leistungsabfragen spornen mich nicht an. Das war hier sehr viel schöner gelöst und es gab die Möglichkeit, einen eigenen Weg zu gehen und aus diesem zu wachsen. Und ständig gab es die Motivation, selbst aktiv zu werden und das gemeinsam mit den anderen Auszubildenden. Für mich war das ein richtiger Mehrwert.

Hat die Ausbildung Euch auf die jetzige Betriebsleitung ausreichend vorbereitet?

FELIX GRÄSSER: Ja, das kann man sagen, wir haben ja sehr viel Praxis kennengelernt. Das Besondere ist aber, dass ich jetzt ein großes Netzwerk habe, auf das ich zurückgreifen kann. Ich weiß, wo ich anrufen kann, wo ich mal hinfahren kann, wenn ich Fragen zu einem Gerät oder einer Anbaumethode habe. Ich stehe nach der Ausbildung nicht allein da, sondern habe ein Netzwerk von Betrieben, die ich kenne und die mich kennen. Das hilft auch bei der Vermarktung, wenn man sich gut in der Branche orientieren kann.

CLAUDIA GRÄSSER: Die Ausbildung lebt von der intrinsischen Motivation. Wir sind zum Ende hin aktiv auf Betriebsleiter:innen zugegangen und haben unsere Fragen mit ihnen besprochen. Dadurch ist eine Resonanz zwischen uns und den Betrieben entstanden, die bis heute trägt.

Manchen fehlt es in den Seminaren an fachlichem Input. Wie war das für Euch?

CLAUDIA GRÄSSER: Am Anfang wurden wir sehr geführt, vieles wurde vorgegeben. Nach und nach konnten wir dann selbst wählen, was wir angucken und lernen wollten. Natürlich ist es gut, wenn man dann weiß, was man lernen will, wenn man fokussiert ist. Sonst kann man auch „schwimmen“. Mein Eindruck ist aber, dass die Inhalte der Ausbildung heute besser gegriffen sind. Für mich war das Freilassende aber eine Bereicherung, eben weil ich mich selbst kümmern musste. Das, was man später noch fachlich braucht, steht ja auch in Büchern nachzulesen.

FELIX GRÄSSER: Ich würde auch sagen fachlich kam das Wichtigste vor und es wurden Quellen angegeben, wo man die Themen vertiefen konnte. Vielfach ging der Blick dann weiter als nur ins Analytische und Fachliche, sondern es ging auch um die Beziehungen zwischen den Dingen.

Wenn Ihr mit dem Abstand von heute auf Eure Ausbildungszeit schaut, was hättet Ihr noch gebraucht?

CLAUDIA GRÄSSER: Mir hat manchmal die Klarheit gefehlt, die Stringenz. Aber das kommt natürlich immer auch auf die Gruppen an. Die Prozesse waren manchmal ganz schön langwierig. In anderen Gruppen war das wohl einfacher. Viele Betriebe zu sehen ist schön, aber Fahrten und Abstimmung haben auch viel Zeit gekostet. Das Positive hat eben immer auch eine Kehrseite.

Nicht lange nach Eurer Ausbildung habt ihr selbst die Betriebsleitung für die Gärtnerei übernommen. Wie war der Sprung ins kalte Wasser für Euch, einen laufenden Betrieb zu übernehmen?

FELIX GRÄSSER: Wir waren erst drei Menschen auf der Suche nach Land und wollten etwas gründen, irgendwann blieben nur noch wir zwei. Dann haben uns die Betriebsleiter hier gefragt, wir kannten uns von meiner Ausbildungszeit auf dem Hof. Wir haben „ja“ gesagt und haben zwei Jahre mitgearbeitet und mit Verantwortung übernommen. Dann sind wir parallel in den Übergabeprozess des Hofes gegangen, was natürlich auch kompliziert war. Letztlich wurde entschieden, den Betrieb aufzuteilen und wir haben den Bereich „Freiland mit Folientunneln“ übernommen. Meine Ausbildungszeit auf dem Betrieb war bei der Übernahme auch für das gute Verhältnis zu den angestellten Mitarbeiter:innen entscheidend.

CLAUDIA GRÄSSER: Es war eine spannende Zeit und es gab wirklich aufregende Momente! Vor einem Jahr gab es zum Beispiel eine Situation als wir Ware verkaufen wollten aber nicht konnten, weil uns noch keine Steuernummer zugeteilt wurde.

Ihr bildet jetzt auch selbst aus. Wie erlebt Ihr die Ausbildung aus dieser Perspektive?

CLAUDIA GRÄSSER: Von der Ausbildungskoordination der Biodynamischen Ausbildung im Osten werden wir sehr gut begleitet. Auf dem letzten Treffen ausbildender Betriebe waren wir zwar eine kleine Runde, aber es macht Freude in diesem Kreis mitzuarbeiten. Und unsere Auszubildende kommt motiviert und mit Fragen aus den Seminaren zurück. Schwierig ist, dass man in der inzwischen dreijährigen Ausbildungszeit keinen sehr glücklichen Zeitpunkt für einen Betriebswechsel mehr findet. Das ging früher besser.

FELIX GRÄSSER: Wir freuen uns, dass unser Betrieb weiter ein gewisser Anlaufpunkt für die Ausbildung ist. Wenn Seminargruppen zu uns kommen, können wir mit den Auszubildenden auf Tuchfühlung gehen und besprechen, was sie hier lernen können. Es macht Freude, die Begegnung möglichst fruchtbar zu gestalten und Praktisches zu vermitteln.

Bei der Ausbildung geht es ja besonders um das Thema Nachwuchs.
Finden die richtigen Leute zu Euch?

FELIX GRÄSSER: Es ist wahnsinnig schwierig, Arbeitskräfte zu finden die unter 60 sind und die überhaupt in Vollzeit arbeiten wollen. Die Ausbildung hilft, dass sich überhaupt junge Menschen für unseren Betrieb interessieren.

Was wünscht Ihr der Ausbildung für die Zukunft?

CLAUDIA GRÄSSER: Dass man sich Zeit nimmt. Mir scheint heute muss alles immer so schnell abgehandelt werden. Ich wünsche mir, dass man den Dingen ihre Zeit gibt und bei mehr landwirtschaftlichen Themen mit den Jahreszeiten geht.

FELIX GRÄSSER: Für mich hat es Stress bedeutet, dass die Finanzierung der Ausbildung ständig auf der Kippe stand und thematisiert wurde. Jetzt wünsche ich mir für die Arbeit, dass hier Ruhe reinkommt und dass jedenfalls die Auszubildenden davon verschont bleiben und ihre Ausbildung gut machen können. Schön, wenn der Demeter Ausbildungsfonds hierzu beitragen kann.

Liebe Claudia, lieber Felix, vielen Dank für Eure Zeit und Eure Antworten!